Veränderung braucht mut
Frau Rauch, Sie arbeiten am Projekt DigiTraIn 4.0, sind als Business Coach aktiv und forschen zu Denkweisen und Einstellungen zum Thema Digitalisierung. Wie stark schwanken die Menschen zwischen Euphorie und Skepsis in Bezug auf die digitale Transformation?
Unterschiedlich stark und nicht nur zwischen Euphorie und Skepsis. Ich werte derzeit eine qualitative Studie aus, die ich im Rahmen meiner Doktorarbeit durchgeführt habe. Ich habe mit 30 Personen gesprochen, die in mittelständischen Unternehmen arbeiten. Obwohl die Auswertung noch läuft, zeichnet sich bereits ab, dass es unterschiedliche Typen zu geben scheint: Einen stark euphorischen, zukunftsgewandten Typ; einen neutralen, unbeteiligten Typ; einen zurückblickenden, festhaltenden Typ und einen, der das Neue will ohne das Alte loszulassen.
Als schwankend bzw. sich in einem inneren Zwiespalt befindend, fallen besonders die letzten beiden Typen auf.
In dem Wort Euphorie steckt etwas Übersteigertes und Kurzweiliges. In meinen Gesprächen konnte ich das nur selten erkennen. Die positiven Reaktionen würde ich vielmehr als überzeugte Heiterkeit beschreiben. Sie gingen oft einher mit einem klaren Blick auf Arbeitserleichterungen, Effektivität und Fortschritt.
Skepsis zeigte sich bei vielen Teilnehmern. Kritisch hinterfragten Teilnehmer beispielsweise mögliche Kontrollverluste über die eigene Tätigkeit, ein zunehmendes Gefühl der Beiläufigkeit z.B. durch abnehmenden persönlichen Kontakt und auch die Skepsis selbst: Wie viel Skepsis braucht es eigentlich, um der Digitalisierung begegnen zu können?
Insgesamt denke ich, dass es weniger auf das wie stark als auf das weshalb ankommt. Dass man im Meinungsbildungsprozess hin und her schwankt, ist uns allen sicherlich bekannt und aus meiner Sicht ein Zeichen kritischen Hinterfragens. Wenn man jedoch beginnt sich dadurch zu blockieren und auf der Stelle tritt, dann sollte man den Konflikt lösen. In meiner Arbeit als Coach sehe ich, dass hinter solchen Blockaden oder anhaltenden Schwankungen oft ein für die Person bedeutungsvolles weshalb steckt.
Im Moment erleben wir in vielen Bereichen einen Umbruch. Manch einer hat aber keine genaue Vorstellung davon, wohin seine persönliche Reise geht und ist folglich verunsichert. Ist das nur eine Frage der Einstellung?
Ja und nein. Eine Einstellung ist eine Tendenz, ein Objekt oder eine Situation zu bewerten. In Ihrem Beispiel würde eine Person den Umbruch oder die fehlende Vision ablehnend bewerten und sich dadurch unsicher fühlen. Die interessante Frage ist doch aber, weshalb kommt die Person zu dieser Bewertung? Um diese Frage beantworten zu können, muss man meiner Ansicht nach das Selbstkonzept einer Person betrachten.
Das Selbstkonzept umfasst einfach gesagt all das, was eine Person über sich selbst glaubt und zu wissen meint. Die Einstellung ist Bestandteil des Selbstkonzeptes und ergibt sich aus den Überzeugungen, die eine Person über sich selbst und die Welt gewonnen hat.
Lassen Sie es mich anhand eines schnellen, vereinfachten Beispiels erläutern:
Eine Person arbeitet in einer Abteilung, die im Zuge einer digitalen Transformation umstrukturiert wird. Es ist noch unklar, inwiefern sich die Tätigkeit der Person verändert. Die Person glaubt von sich selbst, dass sie zwar die bisherigen Aufgaben gut macht, sonst aber eigentlich nichts kann. Er/sie leitet für sich die Einstellung ab Veränderungen, neue Aufgaben, sind eine kaum zu bewältigende Herausforderung.
Nehmen wir in diesem Beispiel nur die Einstellung ins Visier und geben der Person den gut gemeinten Rat Mensch, sieh die Veränderung doch als Chance!, würden wir die eigentliche Ursache übersehen: das Kompetenzbewusstsein. Jenes zu stärken, könnte einen großen Hebel für die Person darstellen.
Unser Selbstkonzept und unsere Einstellungen werden durch unsere Erfahrungen und somit auch durch unser Umfeld geprägt. Ob sich eine Person verunsichert fühlt, ist folglich auch davon abhängig wie Umbrüche und Veränderungen gestaltet werden. Selbst wenn die Zukunft der Mitarbeiter noch unklar ist, können Unternehmen der Verunsicherung der Mitarbeiter entgegenwirken.
Beispielsweise weiß man aus der Change Management Forschung, dass sich die frühzeitige Einbindung von Mitarbeitern positiv auswirkt und dass die Interaktion zwischen Führungskraft und Mitarbeiter Unsicherheit reduzieren kann.
Nun komme ich auf Ihre Frage zurück: Ist es nur eine Frage der Einstellung? Nein, nicht nur sondern auch. Was kann man also tun, wenn man verunsichert ist und nicht weiß, wo die eigene Reise hingeht? Sich selbst einen attraktiven Zielzustand ausmalen und fragen Was kann ich tun, was braucht es, damit ich diesen Zielzustand erreiche?
Viele Unternehmen fordern von Ihren MitarbeiterInnen Veränderungs- und Lernbereitschaft, setzen in ihren Beurteilungen aber doch nur auf Produktivitätsfaktoren. Muss sich hier nicht radikal etwas ändern?
Dass man auf Produktivitätsfaktoren setzt, ist nachvollziehbar, denn sie sind messbar. Und alles was wir messen können, gibt uns Sicherheit in der Argumentation.
Ich denke, die Leistung von Mitarbeitern auch über Produktivitätsfaktoren zu messen und dieses Feedback konstruktiv für die Mitarbeiterentwicklung einzusetzen, bleibt sinnvoll.
Beurteilt ein Unternehmen jedoch lediglich nach Leistungskriterien, würde ich die riskante Behauptung aufstellen, dass dieses Unternehmen keine klare Vision hat und folglich auch noch nicht weiß, welche Kompetenzen benötigt werden, um diese anzustreben.
Beschäftigt man sich mit der Zukunft eines Unternehmens so kommt man aus meiner Erfahrung nicht um das Thema Veränderung herum. Und um Veränderung zu bewältigen und zu fördern braucht es mehr als bloße Leistung, z.B. Neugier, Ideenreichtum, Mut und Vertrauen. Zudem sehen wir, dass sich die Arbeitswelt durch digitale Helfer wandelt. Möchte man sich von diesem Wandel nicht treiben lassen, sondern ihn gestalten, so bedeutet dies, dass Mitarbeiter digitale Fähigkeiten, darunter z.B. Offenheit für neue Technologien, benötigen. Werden diese Kompetenzen in Beurteilungen berücksichtigt, erfahren nicht nur Performer, sondern auch die Quer- und Zukunftsdenker die verdiente Wertschätzung.
Es sollte sich in meinen Augen etwas ändern. Wobei ich nicht denke, dass im Kompetenzmanagement die bestehenden Zelte komplett abgebrochen werden müssen. Es ist ein neues Ausleuchten der Umgebung.
Die Arbeitsplätze sind mittlerweile so hoch verdichtet bzw. eng getaktet, dass eigentlich keine Zeit bleibt, Neues auszuprobieren. Haben sich die Unternehmen selbst ein Bein gestellt?
Wenn sie sich selbst ein Bein gestellt hätten, würde dies bedeuten, dass sie eine Wahl hatten. Das bezweifle ich. Die Verdichtung und hohe Taktung sind das Resultat von neuen, unter anderem technologischen Möglichkeiten, Arbeit zu gestalten in Verbindung mit positiven Innovationen. Unternehmen sollten das Thema Arbeitsverdichtung sowie andere kritische Folgen neuer Arbeitsformen, wie Technostress, ernst nehmen.
Darüber hinaus halte ich es für sehr wichtig, dass Mitarbeiter auch freie Zeit verbringen können. Damit meine ich Zeit, die nicht gleich Geld sein muss. Hierzu zählt zum Beispiel, Neues auszuprobieren, sich mit Kollegen auszutauschen, Arbeitsweisen zu hinterfragen und in Ruhe zu denken. Diese Zeit sollten wir einplanen wie andere To-dos. Damit dies geschieht, braucht es eine entsprechende Unternehmenskultur, die diese freie Zeit schätzt und Mitarbeiter selbstorganisiert arbeiten lässt.
Statt der gewohnten linearen Entwicklung, die für uns Menschen greifbarer zu sein scheint, erleben wir jetzt in vielen Bereichen eine exponentielle. Ist es demnach nicht vielmehr das Tempo, das vielen Sorge bereitet, als die Digitalisierung an sich?
Ich denke auch, dass die Digitalisierung an sich nicht unbedingt die Herausforderung darstellt. In meinen Augen wird Digitalisierung zu oft als Selbstzweck verwendet. Sie kann aus meiner Sicht ein effektives Mittel zum Zweck, also ein Werkzeug darstellen. Und dieses Werkzeug hat positive und negative Begleiterscheinungen. Die Schnelligkeit und Schnelllebigkeit ist nur eine davon, die viele Menschen als negativ, manche jedoch als positiv empfinden. Hinzu kommen viele weitere Aspekte, z.B. Flexibilität, Mobilität oder Erreichbarkeit, die ebenfalls positive und negative Seiten aufweisen.
Ich denke, wir können hier nicht mit dem Finger auf eine Sache zeigen. Dafür ist es zu dynamisch, kontextabhängig und vielfältig. Wir können jedoch versuchen, besser zu verstehen, was Menschen mit der Digitalisierung verbinden und was sie in ihnen auslöst. Negatives und Positives.
Autor: Discover Digital, ein Interview mit Ricarda Rauch
Quelle: www.discoverdigital.de
Datum: 11. Februar 2019
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Veränderung braucht mut
Frau Rauch, Sie arbeiten am Projekt DigiTraIn 4.0, sind als Business Coach aktiv und forschen zu Denkweisen und Einstellungen zum Thema Digitalisierung. Wie stark schwanken die Menschen zwischen Euphorie und Skepsis in Bezug auf die digitale Transformation?
Unterschiedlich stark und nicht nur zwischen Euphorie und Skepsis. Ich werte derzeit eine qualitative Studie aus, die ich im Rahmen meiner Doktorarbeit durchgeführt habe. Ich habe mit 30 Personen gesprochen, die in mittelständischen Unternehmen arbeiten. Obwohl die Auswertung noch läuft, zeichnet sich bereits ab, dass es unterschiedliche Typen zu geben scheint: Einen stark euphorischen, zukunftsgewandten Typ; einen neutralen, unbeteiligten Typ; einen zurückblickenden, festhaltenden Typ und einen, der das Neue will ohne das Alte loszulassen.
Als schwankend bzw. sich in einem inneren Zwiespalt befindend, fallen besonders die letzten beiden Typen auf.
In dem Wort Euphorie steckt etwas Übersteigertes und Kurzweiliges. In meinen Gesprächen konnte ich das nur selten erkennen. Die positiven Reaktionen würde ich vielmehr als überzeugte Heiterkeit beschreiben. Sie gingen oft einher mit einem klaren Blick auf Arbeitserleichterungen, Effektivität und Fortschritt.
Skepsis zeigte sich bei vielen Teilnehmern. Kritisch hinterfragten Teilnehmer beispielsweise mögliche Kontrollverluste über die eigene Tätigkeit, ein zunehmendes Gefühl der Beiläufigkeit z.B. durch abnehmenden persönlichen Kontakt und auch die Skepsis selbst: Wie viel Skepsis braucht es eigentlich, um der Digitalisierung begegnen zu können?
Insgesamt denke ich, dass es weniger auf das wie stark als auf das weshalb ankommt. Dass man im Meinungsbildungsprozess hin und her schwankt, ist uns allen sicherlich bekannt und aus meiner Sicht ein Zeichen kritischen Hinterfragens. Wenn man jedoch beginnt sich dadurch zu blockieren und auf der Stelle tritt, dann sollte man den Konflikt lösen. In meiner Arbeit als Coach sehe ich, dass hinter solchen Blockaden oder anhaltenden Schwankungen oft ein für die Person bedeutungsvolles weshalb steckt.
Im Moment erleben wir in vielen Bereichen einen Umbruch. Manch einer hat aber keine genaue Vorstellung davon, wohin seine persönliche Reise geht und ist folglich verunsichert. Ist das nur eine Frage der Einstellung?
Ja und nein. Eine Einstellung ist eine Tendenz, ein Objekt oder eine Situation zu bewerten. In Ihrem Beispiel würde eine Person den Umbruch oder die fehlende Vision ablehnend bewerten und sich dadurch unsicher fühlen. Die interessante Frage ist doch aber, weshalb kommt die Person zu dieser Bewertung? Um diese Frage beantworten zu können, muss man meiner Ansicht nach das Selbstkonzept einer Person betrachten.
Das Selbstkonzept umfasst einfach gesagt all das, was eine Person über sich selbst glaubt und zu wissen meint. Die Einstellung ist Bestandteil des Selbstkonzeptes und ergibt sich aus den Überzeugungen, die eine Person über sich selbst und die Welt gewonnen hat.
Lassen Sie es mich anhand eines schnellen, vereinfachten Beispiels erläutern:
Eine Person arbeitet in einer Abteilung, die im Zuge einer digitalen Transformation umstrukturiert wird. Es ist noch unklar, inwiefern sich die Tätigkeit der Person verändert. Die Person glaubt von sich selbst, dass sie zwar die bisherigen Aufgaben gut macht, sonst aber eigentlich nichts kann. Er/sie leitet für sich die Einstellung ab Veränderungen, neue Aufgaben, sind eine kaum zu bewältigende Herausforderung.
Nehmen wir in diesem Beispiel nur die Einstellung ins Visier und geben der Person den gut gemeinten Rat Mensch, sieh die Veränderung doch als Chance!, würden wir die eigentliche Ursache übersehen: das Kompetenzbewusstsein. Jenes zu stärken, könnte einen großen Hebel für die Person darstellen.
Unser Selbstkonzept und unsere Einstellungen werden durch unsere Erfahrungen und somit auch durch unser Umfeld geprägt. Ob sich eine Person verunsichert fühlt, ist folglich auch davon abhängig wie Umbrüche und Veränderungen gestaltet werden. Selbst wenn die Zukunft der Mitarbeiter noch unklar ist, können Unternehmen der Verunsicherung der Mitarbeiter entgegenwirken.
Beispielsweise weiß man aus der Change Management Forschung, dass sich die frühzeitige Einbindung von Mitarbeitern positiv auswirkt und dass die Interaktion zwischen Führungskraft und Mitarbeiter Unsicherheit reduzieren kann.
Nun komme ich auf Ihre Frage zurück: Ist es nur eine Frage der Einstellung? Nein, nicht nur sondern auch. Was kann man also tun, wenn man verunsichert ist und nicht weiß, wo die eigene Reise hingeht? Sich selbst einen attraktiven Zielzustand ausmalen und fragen Was kann ich tun, was braucht es, damit ich diesen Zielzustand erreiche?
Viele Unternehmen fordern von Ihren MitarbeiterInnen Veränderungs- und Lernbereitschaft, setzen in ihren Beurteilungen aber doch nur auf Produktivitätsfaktoren. Muss sich hier nicht radikal etwas ändern?
Dass man auf Produktivitätsfaktoren setzt, ist nachvollziehbar, denn sie sind messbar. Und alles was wir messen können, gibt uns Sicherheit in der Argumentation.
Ich denke, die Leistung von Mitarbeitern auch über Produktivitätsfaktoren zu messen und dieses Feedback konstruktiv für die Mitarbeiterentwicklung einzusetzen, bleibt sinnvoll.
Beurteilt ein Unternehmen jedoch lediglich nach Leistungskriterien, würde ich die riskante Behauptung aufstellen, dass dieses Unternehmen keine klare Vision hat und folglich auch noch nicht weiß, welche Kompetenzen benötigt werden, um diese anzustreben.
Beschäftigt man sich mit der Zukunft eines Unternehmens so kommt man aus meiner Erfahrung nicht um das Thema Veränderung herum. Und um Veränderung zu bewältigen und zu fördern braucht es mehr als bloße Leistung, z.B. Neugier, Ideenreichtum, Mut und Vertrauen. Zudem sehen wir, dass sich die Arbeitswelt durch digitale Helfer wandelt. Möchte man sich von diesem Wandel nicht treiben lassen, sondern ihn gestalten, so bedeutet dies, dass Mitarbeiter digitale Fähigkeiten, darunter z.B. Offenheit für neue Technologien, benötigen. Werden diese Kompetenzen in Beurteilungen berücksichtigt, erfahren nicht nur Performer, sondern auch die Quer- und Zukunftsdenker die verdiente Wertschätzung.
Es sollte sich in meinen Augen etwas ändern. Wobei ich nicht denke, dass im Kompetenzmanagement die bestehenden Zelte komplett abgebrochen werden müssen. Es ist ein neues Ausleuchten der Umgebung.
Autor: Discover Digital, ein Interview mit Ricarda Rauch
Quelle: www.discoverdigital.de
Datum: 11. Februar 2019
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